Ich möchte das an einem Fallbeispiel erläutern:
Anna kam mit leichtem Übergewicht in meine Praxis. Sie fühlte sich ständig erschöpft und war genervt von ihrer Arbeit. Immer wieder klagte sie über Rückenschmerzen. Sie war sehr sportlich und aktiv, sowohl bei der Arbeit als auch privat.
Wir gingen zunächst von einer psychischen Ursache aus.
In der Therapie lernte Anna die Zusammenhänge verstehen:
- Sie achtet heute mehr auf die Signale ihres Körpers und erlaubt sich darauf zu hören. Sie lernte, wann sie Pausen machen, mehr schlafen, auch mal nein sagen muss.
- Sie versteht jetzt, dass sie immer fit, hilfsbereit und aktiv sein wollte, weil das in ihrer Kindheit belohnt wurde. „Empfindlichkeiten“ wurden ignoriert. Sie sollte der Stolz der Familie sein und das gelang ihr auch mit guten Noten und ständiger Hilfsbereitschaft in der ganzen Verwandtschaft.
- Bei der Arbeit verhielt sie sich genauso, weil der innere Antreiber ihr sagte: „Du musst!“
- Sie lernte ihr inneres Kind kennen, das rief: „Sieht mich denn keiner?“
- Sie lernte, sich um ihr inneres Kind zu kümmern.
- Ihre Beziehungen veränderten sich. Sie trifft sich jetzt mit Freundinnen und Freunden, die sie nicht ausnutzen als seelischen Mülleimer, sondern auch etwas zu geben haben.
- Sie reduzierte die Hilfeleistungen in ihrer Familie und verarbeitete, den Schmerz über die emotionale Vernachlässigung und den Druck, dem sie immer ausgesetzt war, perfekt zu sein.
Anna ist heute lebendig, selbstbewusst und ihre Augen funkeln, wenn sie von neuen Erlebnissen erzählt. Eigentlich könnte die Therapie jetzt abgeschlossen werden.
Doch sie zögert noch. Ihre Rückenschmerzen tauchen immer wieder auf, oder werden sie sogar mehr?
Hellhörig wurde ich, als sie sagte, sie sei im Grunde immer erschöpft.
Aus der Therapie hatte sie ja gelernt, was die Zusammenhänge sein könnten und sie prüfte immer wieder gewissenhaft, ob sich wieder ein altes Verhaltensmuster eingeschlichen hatte.
„Eigentlich habe ich gar kein Grund traurig zu sein. Aber es gibt Tage, da halte ich es zuhause nicht aus, obwohl ich merke, ich müsste ausruhen. Ich bin unruhig und getrieben, gleichzeitig total erschöpft. Manchmal erhole ich mich am Wochenende, wenn ich ganz viel schlafe. Aber mein Haushalt wird die Katastrophe. Eigentlich schaffe ich den fast nicht mehr. Ich bin so schlampig.“
Sie geht Schwimmen und macht Yoga und immer wieder lässt sie sich Krankengymnastik verschreiben. Warum wird es also nicht besser?